Der Loudness War

Lautheit vs. Lautstärke vs. Dynamik

Der Loudness-War (Lautheits-Krieg) ist ganz simpel ausgedrückt vor allem ein Ergebnis des Konkurrenzkampfes in der Musik- und Werbeindustrie. Wer nicht zur ‚Minderheit‘ der Klanggenießer gehört, die eine höchstmögliche Dynamik (wie z.B. bei einem Klassikkonzertbesuch) der höchstmöglichen Lautheit vorziehen, empfindet eine lautheitsangepasste Aufnahme subjektiv attraktiver als die geringer komprimierte Aufnahme mit dem selben Spektrum. Vor allem Frequenzen im Mittenbereich dienen dem Menschen zur Kommunikation und werden daher – wenn laut – subjektiv als ‚besser‘ eingestuft. Diesen Umstand versucht man natürlich auszunutzen, indem man die Lautheit der eigenen Aufnahme höher macht als die der Konkurrenz. Das geht nicht nur mit Musik, sondern auch im Werbe-Jingle. Wer am lautesten schreit, verkauft eben am meisten…

 

Der Kampf um die maximale Lautheit ist eine Entwicklung, welche in ihren Auswirkungen mit den technischen Mitteln gewachsen ist. Gab es früher noch eine erträgliche Lautheit, weil z.B. das Medium Schallplatte an physikalische Grenzen stieß, wenn es um maximalen Pegel ging, so ist man heute mittels digitaler Signalprozessoren in der Lage, mehr an Lautheit herauszuholen, als wirklich nützlich und vor allem ästhetisch ist. Bit für Bit kann der maximale Pegel eines Signales bis auf 0dBFS angehoben werden. Selbst das Hintergrundrauschen einer Aufnahme ließe sich technisch vom Laien in einen Orkan verwandeln. Und dort liegt der Hase im Pfeffer.

Jeder KANN es, aber wo liegt das vernünftige Maß und wer legt fest, was gut klingt? Und was ist einfach nur laut? Leider gibt es keinen Standard, der sich bis dato offiziell durchgesetzt hat. So wie in allen Bereichen der Wirtschaft, wo der Umsatz und nicht die langfristige Betrachtung der Art und Weise, wie Umsatz erzielt wird, im Vordergrund steht. Die Industrie interessiert es NICHT, wer durch permanentes Musikhören unter MP3-Playern & Co. Zelle für Zelle sein Ohr einbüßt. Im Vordergrund steht; mache ich meine Aufnahme leiser, kauft der Kunde wahrscheinlich bei der Konkurrenz – ich verliere bares Geld.

Wie in der Tabak-, Nahrungs- oder Genussmittelindustrie wird gequetscht, gepresst und gelogen. Kontrollen und Standards gibt es entweder nur ungenügend oder gar nicht. Der Endverbraucher ist in der Frage der Dosierung sich selbst überlassen. Ob eines Tages auf dem Booklet einer CD stehen wird ‚Lautes Hören schadet Ihrer Gesundheit‚, wie in ähnlicher Art auf Zigarettenschachteln üblich ist, bleibt abzuwarten. Aber sicher wird erfahrungsgemäß auch da – wie beim Konsum vom Rauchwerk – die Vernunft der Gewohnheit/der Sucht am Rausch  unterliegen.

Die Industrie weiß, wie man ‚verführt‘; sie analysiert das Kundenverhalten, treibt Studien, lernt aus vergangenen (Verkaufs-)Jahren. Das ständige Wachsen der Mitbewerberschar und der Zahl an Konkurrenzprodukten führt seit Jahren zu empfindlichen Umsatzeinbußen. Der rücksichtslose – und aus der Sicht des Verkäufers sicher nachvollziehbare – Kampf um Marktanteile dauert an. Die Hörgewohnheiten  der Konsumenten haben sich im Laufe der Zeit angepasst und man hat mittlerweile künstlich ein ‚Bedürfnis‘ zu lautem Audiomaterial geschaffen. Spielt man Otto-Normalverbraucher eine zwar bis 0dBFS ausgesteuerte, aber in der Lautheit nicht nach industriellen Maßstäben ‚optimierte‘ Aufnahme vor, wird man selbst ohne den direkten Vergleich mit einer ‚amtlichen‘ Produktion vorzunehmen zu hören bekommen, dass es ‚irgendwie zu leise rüberkommt‘. Man hat sich einfach an höhere Durchschnittspegel (RMS) gewöhnt…

Vergleicht man zum Beispiel eine ‚amtliche‘ Aufnahme von 1990, als der Loundess-War bereits im Gange war, mit einer wesentlich aktuelleren Aufnahme, dann ist der Unterschied selbst für den Laien mehr als deutlich erkennbar. Schon an der optischen Darstellung der beiden Aufnahmen sieht man, wer Leichen im Keller hat. Wobei man sagen muss, die untere Aufnahme ist das 2008er Remake (nicht Re-Master!!) eines Albums, das im Original aus 1980 stammt. Die Kurven des Originals (auch mit anderem Instrumentarium) dürften mit Sicherheit noch ein wenig moderater gewesen sein…

Techno von1990 (oben) vs. Electronica von 2008

Kultige Techno-Mucke von 1990 mit einem DR13.

Electronica von 2008 mit einem satten DR8.

Bei der oberen Aufnahme handelt es sich um ein kultiges Teil aus der damals in Blüte stehenden Techno-Ära. Selbst in diesem Genre, welches gern als nur laut und ohrenbetäubend stigmatisiert wird, herrschte ein durchschnittlicher RMS von -16dB über der gesamten Aufnahme vor, ein minimaler Headroom von sagenhaften 0,82 dB wurde in der Aufnahme ermittelt. Selten findet man heutzutage in den Genres Pop/Techno/Trance einen Peak unterhalb -0,3dB vor. Dabei sollte eigentlich im Hinblick auf die mögliche Konvertierung in das Format mp3 für den Käufer einer CD, welcher diese auch klanglich auf dem iPod bei sich haben möchte, auf einen größeren Headroom Wert gelegt werden. Die bei der Konvertierung resultierenden Übersteuerungen könnten bei bestimmten Genres wie Klassik oder Klassische Elektronische Musik, je nach Höhe des Eingangspegels, unangenehm deutlich hervortreten. Dieser Aufnahme konnte ein DR13 zugeordnet werden.

Was ist der DR??? Mehr dazu weiter unten.

Aufnahme 2 liegt erst einige Jahre zurück und kommt aus einem Genre, in dem es neben knalligem Synthie-Pop auch mindestens genauso viele Produktionen mit ruhigen, wabernden Klangteppichen der relaxten Art gibt. Dieser Track ist von einem Album, welches beides bietet, aber die durchschnittliche Lautheit der meisten Aufnahmen würde man eher den Genres Techno/Trance zusprechen. Sicher ist dies wieder unseren ‚fortschrittlichen‘ Hörgewohnheiten geschuldet. Mit überraschenden 0,1 dB Headroom sind bei der Konvertierung dieses Titels ins portable Format sicher einige unerwünschte Artefakte zu erwarten. Je nach Datenrate mehr oder weniger. Mit einem durchschnittlichen RMS von -9,9db  liegt die empfundene Lautheit fast bei dem Doppelten unseres Techno-Vergleichstitels. Das garantiert mit Sicherheit, unter dem iPod jeglichen Straßenlärm und Schutzblechklappern auf der nächsten Fahrrad-Tour zu überdecken. Es sorgt aber auch für ein ‚dezentes‘ Taubheitsgefühl nach dem Absetzen der Ohrstöpsel. DR8 steht hier auf dem Stempel.

um Vergleich, in den 80ern lag der RMS von Pop/Rock noch bei ca. -18dB, mittlerweile ist dieses Genre bei -10dB angekommen. Die Grenzen zwischen den Strömungen verwischen sich bekanntlich im musikalischen Bereich oft und meistens bringt dies Fortschritt, Revolutionen und ungeahnte Erfindungen. Aber ist dies auch noch gültig, wenn es um die Lautheit geht? Muss ein Album von Jarre die Boxen ins Toben bringen wie ein Metallica-Release? Wenn es nach manchen Marketern geht, dann ja…

 

Kein Wunder also, wenn neben der vornehmlich umsatzorientierten Fraktion auch Stimmen laut werden (welch Paradoxon!), die Standards und gesunde Grenzen für die Lautheit fordern. Es leidet eben nicht nur der Klang einer Aufnahme, sondern vor allem das Gehör des Konsumenten darunter, wenn ständig suggeriert wird, nur laut ist schön. Es gibt glücklicherweise einige kluge Köpfe, die sich nicht nur öffentlich gegen die Verpresswurstung von Audiomaterial einsetzen, sondern an den Spielregeln der Industrie vorbei Messmittel entwickeln, die in Sekundenschnelle eine Einschätzung der eigenen Aufnahme in etlichen Parametern gestatten. Eines dieser goldwerten ‚Werkzeuge‘ möchten, nein müssen wir hier nennen. Es ist das TT Dynamic Range Meter und finden kann man es unter dynamicrange.de – nebst vielen Informationen zum Thema.

Das Plugin zeigt in Echtzeit neben Korrelation der Kanäle, Pegel, Peak und RMS an, welchen DR man dem durchlaufenden Signal zumessen kann.

Der DR ist ein Wert, der die dynamische Qualität einer Aufnahme beschreibt. Um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, bleiben bei der DR-Messung Programmanteile unter einem bestimmten statistischen Wert unberücksichtigt, da sich beispielsweise ein langes, leises Intro in einem ansonsten überkomprimierten Song verfälschend auf das Ergebnis auswirken würde. Der DR-Wert ist die Differenz zwischen Maximalpegel (Peak) und den oberen 20% der durchschnittlichen Lautstärke (RMS) und ist mit dem technischen Begriff LU = Loudness Unit zu vergleichen, wobei 1DR = 1LU = 1dB ist.

(Quelle: Friedemann Tischmeyer)

Neben dem Live-Einsatz gibt es das Plugin auch in der Offline-Variante. Das heißt, nachdem das Audiofile gerendert wurde, liest man es in das Plugin ein und erhält eine detaillierte Übersicht über die relevanten Parameter – in Sekundenschnelle!

Neben der Tatsache, dass eine hohe permanente Lautheit das Gehör und den (musikalischen) Geschmack verdirbt, resultiert Brachialbeschallung in Nervosität, Aggressivität und anderen psychologischen ‚Nebeneffekten‘. Niemand würde beim Plätschern eines Baches oder selbst lauter Meeresbrandung, der das Ohr länger ausgesetzt ist, mit dauerhaften Schäden rechnen müssen. Es gibt einfach immer wieder natürlich begründete Pausen zwischen den Schallereignissen oder starke Abflachungen der Lautstärke. Selbst ein nahes Gewitter kann man stundenlang ‚genießen‘ – wenn man nicht gerade unglücklicherweise neben einem Einschlagsort platziert ist – ohne dass ein Taubheitsgefühl, wie nach wenigen Minuten Pop/Rock/Tech unter mp3-Playern, entsteht. Allein, dass nach dem Abschalten die subjektive Wahrnehmung eines ‚Unterdruckes durch Stille‘ und anschließendes Phantomrauschen/-flirren entsteht, weist auf unnatürliche Sinnesreizung hin.

Wer sich nicht sicher ist, wo die Grenze zwischen Richtig und Falsch bei der finalen Lautheit liegt, sollte unbedingt in Richtung Natur schielen. Diese hat die ‚technischen‘ Vorraussetzungen für unser Hörvermögen über Millionen von Jahren durch Try-Fail-Select geschaffen. Was gut klingt, muss einfach richtig sein. Ein ‚richtiger‘ gibt es leider nicht.

Solange man im Musikbusiness allerdings gezwungen ist, einen Kompromiss zwischen ästhetischem Klang und Marktansprüchen zu finden, wird das Umsetzen dieser ’natürlichen‘ Parameter nie im Attribut ‚perfekt‘ enden. Aber, zumindest sollte man im eigenen Wirkungskreis versuchen, zehntel-dB-weise die Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte in die Gegenrichtung zu lenken.

Autsch…